Am 8. März haben wir in Essen ein Haus besetzt und damit einhergehend das Zine „Gegen diesen Feminismus – un-cis-thematische Stimmen und Beiträge für einen antipatriarchalen Kampftag“ veröffentlicht. Auf die Hausbesetzung und insbesondere die Inhalte des Zines haben wir viele Reaktionen erhalten. Wir möchten auf die Kritik, das Feedback und die Rückmeldungen die wir über Socialmedia, per Mail und in Person bekommen haben, eingehen.
Dieses Statement wurde nur von wenigen Menschen verfasst und konnte auch nicht mehr ausreichend abgestimmt werden, als dass es wirklich alle Menschen die sich als Teil von der trans* Fläche fühlen, repräsentiert. Einige der Konflikte und Missverständnisse, die nach außen bestehen, gibt es auch innerhalb der Gruppe, weshalb wir uns auch gerade viel mit uns selbst beschäftigen und uns die Zeit nehmen, über unsere Texte in Austausch zu kommen.
Uns ist aufgefallen, dass einige Begriffsdefinitionen nicht allen bekannt waren/sind und diese Unklarheit ein Fundament für viele Missverständnisse geschaffen hat.
Die wohl wichtigste Begriffsklärung ist die Definition von „cis Feminismus“. In vielen Fällen haben Menschen den Begriff als „den Feminismus, den cis Frauen betreiben“ verstanden, was zur Folge hatte, dass sie dachten, wir würden Feminismus von cis Frauen im Allgemeinen ablehnen.
Der Begriff cis Feminismus bezieht sich nicht darauf, wer den Feminismus betreibt, sondern darauf, für wen der Feminismus betrieben wird. Cis Feminismus beschreibt den Feminismus, der sich ausschließlich auf cis Frauen bezieht, d.h. trans* Menschen exkludiert. Wir möchten an dieser Stelle betonen, dass cis-Feminist:innen nicht zwangsläufig aktiv transfeindlich sein müssen, um trans* Personen aus dem feministischen Kampf auszuschließen. Demnach können auch cis-Feminist*innen, die für die Befreiung von trans* Menschen kämpfen wollen, aufgrund mangelnder Auseinandersetzung mit dem Thema, trans*exklusiven Feminismus betreiben, z.B. durch cis-normative Sprache.
Es wurde mehrfach in Frage gestellt, warum wir den 8. März für unsere Aktion und die Veröffentlichung des Zines gewählt haben; damit einhergehend wurden wir oft auf den 31.März, „trans day of visibility“, hingewiesen, der ja ein viel passenderes Datum für unsere Themen gewesen wäre. Viele sind der Meinung, dass trans* Personen ja eine eigene Plattform haben und dass wir durch unsere Aktion cis Frauen die Plattform für ihre Stimmen weggenommen haben.
Wir haben den 8. März als Datum gewählt, nicht um cis Frauen ihre Plattform wegzunehmen, sondern, weil wir einen gemeinsamen feministischen Kampf fordern. Wir möchten die bestehende Plattform nicht wegnehmen, sondern eine größere Plattform schaffen, in der einfach mehr Platz ist für alle, die vom Patriarchat betroffen sind. Zudem haben wir den 8. März gewählt, weil alles, was wir am Mainstream-Feminismus kritisieren, an diesem Tag sichtbar wird. Wenn es um die Unterdrückung durch das Patriarchat geht, dann haben trans* Personen keine andere Plattform oder anderen Raum oder Tag, an dem sie ihre Betroffenheit zum Ausdruck bringen können.
So lange am 8. März über das Patriarchat und seine Betroffenen gesprochen wird, muss auch von uns die Rede sein – denn wir sind betroffen.
Aus einigen Reaktionen auf unsere Inhalte ging hervor, dass viele Menschen glauben, cis Frauen seien die einzige Personengruppe, die vom Patriarchat direkt betroffen ist. Trans* Personen seien von Trans*feindlichkeit betroffen, aber nicht von Sexismus. Es gibt einen Unterschied zwischen „vom Patriarchat direkt unterdrückt werden“ und „unter dem Patriarchat leiden, aufgrund von internalisiertem, patriarchalem Gedankengut“. Letzteres trifft beispielsweise auch auf cis Männer zu, obwohl sie in dieser Machtdynamik in der Unterdrückerrolle sind.
In dem Zine wurden Betroffenheitserfahrungen von Sexismus und sexualisierter Gewalt von mehreren trans* Personen geschildert. Zu sagen, trans*Personen seien nicht betroffen, spricht diesen und allen anderen trans* Personen ihre Erfahrungen ab. Hetero Cis Endo Männer sind im patriarchalen System in der Unterdrückerrolle. Alle anderen Menschen sind in der Betroffenenposition, da im Patriarchat alles, was nicht eindeutig und stereotypisch als „männlich“ klassifizierbar ist, abgewertet wird. Das Patriarchat basiert letztendlich nur auf dem binärem Geschlechtersystem, weil die Machtdynamik eben nur dann funktioniert, wenn es die vermeintlichen Kategorien „männlich“ und „weiblich“ gibt. Alle, die nicht eindeutig kategorisierbar sind, also alle inter* und (v.a. nicht binäre) trans* Personen, werden zusätzlich eben wegen ihrer „Unkategorisierbarkeit“ unterdrückt.
Menschen werfen uns vor, den feministischen Kampf und alles, was cis Frauen bisher erreicht haben, mit unseren Inhalten kaputt zu machen. Vor allem, wenn es um Themen geht, die für cis Frauen empowernd, aber für einige trans* Menschen sehr triggernd sein können (z.B. M€ns****tion), wird gerne mit der Geschichte des Feminismus und den bisherigen Erfolgen argumentiert.
Zum einen möchten wir an dieser Stelle betonen, dass Trigger Awareness nicht die allgemeine Tabuisierung von Themen bedeutet, sondern eben nur ein Bewusstsein dafür schaffen will, dass einige Themen für manche empowernd und für andere sehr heikel sein können, und es daher sehr schmerzhaft ist, davon auszugehen, dass es generell für alle ok ist, jederzeit (unkonsensual) darüber zu sprechen bzw. mit dem Thema konfrontiert zu werden.
Dass das Benutzen von Trigger Warnungen als Stigmatisierung von bestimmten Themen wahrgenommen wird, liegt eben nur daran, dass Trigger Warnungen in unserer Gesellschaft allgemein nicht normalisiert sind. Es gibt einen sehr klaren Unterschied zwischen „cis Männer tabuisieren und stigmatisieren M€ns****tion“ und „trans* Personen bitten darum, Konsens abzufragen, bevor sie mit dem Thema M€ns****tion konfrontiert werden“. Dieses und ähnliche Themen sind für viele trans* Personen ein Auslöser für Dysphorie, u.a. weil in dieser cisnormativen Gesellschaft bestimmte Körperfunktionen mit Geschlecht und Schubladen verbunden sind. Cis Frauen (und auch einige trans* Personen) sollten sich im Klaren darüber sein, dass es ein Privileg ist, nicht von Dysphorie betroffen zu sein. Wir sehen die Relevanz und Notwendigkeit für einige Menschen, sich über Themen wie M€ns****tion auszutauschen, das sollte aber nicht auf Kosten anderer vom Patriarchat Betroffenen passieren. Ein feministischer Kampf zur Entstigmatisierung dieser Themen ist wichtig, muss aber trans*inklusiv sein und darf nicht Körperfunktionen und Geschlecht gleichsetzen.
Zum Anderen impliziert die Aussage, trans* Menschen würden den feministischen Kampf kaputt machen, dass diese kein Teil davon waren oder sind. Die Erfolge und die Historie des feministischen Kampfes bleibt unberührt von unserem Wunsch und Ziel, einen Feminismus zu leben, der trans*inklusiv ist, in dem für alle Betroffenen Platz ist, von dem sich auch inter* und trans* Personen gesehen fühlen. Wir wollen einen Feminismus, der uns alle empowert, nicht nur einige von uns.
Die Reaktion einiger Menschen auf unser Zine war, die Inhalte als frauenfeindlich zu bezeichnen.
Neben den Menschen, die weder das Zine noch den Untertitel gelesen haben und sich schon beim Titel aufgeregt haben, gab es auch inhaltliche Argumentationen zu dem Vorwurf der Frauenfeindlichkeit. Sowohl die Argumentation als auch unsere Reaktion darauf ist sehr ähnlich wie bei dem oben beschriebenen Vorwurf der Stigmatisierung von Themen. Wenn trans* Personen darum bitten, in einem konsensualen Rahmen über bestimmte Körperfunktionen zu reden, dann ist der Grund nicht Frauenfeindlichkeit, sondern z.B. Dysphorie und eigene Betroffenheit.
Uns wurde auch vorgeworfen, mit dem Zine lediglich „Identitätspolitik“ zu machen, „unpolitisch“ zu sein. Mehrere Fragen stellen sich uns an dieser Stelle: Was ist Identitätspolitik und in wie fern ist sie unpolitisch? Wenn trans* Themen unter „Identitätspolitik“ fallen, weil es hierbei unter anderem um Identitäten geht, dann ist das ein fragwürdiges Argument, weil das bei vielen politischen Themen der Fall ist. Gleichzeitig ist für uns klar, dass es bei trans* Themen nie nur um Identität geht, sondern auch immer um unsere Betroffenheit im patriarchalen (binären) System. Und sogar, wenn es ausschließlich um Identitäten gehen würde, dann wäre das trotzdem ein politisches Thema. Unsere Identitäten in einem weißen, kolonialistischen, rassistischen, ableistischen, kapitalistischen, patriarchalen System SIND politisch. Die Identitäten marginalisierter Menschen stehen immer und notwendigerweise in Zusammenhang mit ihren Diskriminierungserfahrungen.
Die in unserem Zine adressierten Themen sind strukturelle Probleme, auch, wenn einige Verfasser:innen konkrete Beispiele aus ihrem Alltag dazu benutzt haben, um Dinge besser zu veranschaulichen. Das Zine sollte in keinster Weise einen persönlichen Angriff auf die Menschen, die sich in den Situationen wiedergefunden haben, darstellen. Trans*exklusiver Feminismus und allgemein die trans* Erfahrungen, die beschrieben werden, beschränken sich nicht auf lokale Strukturen und sind keinesfalls persönliche, sondern strukturelle Probleme.
Genau deswegen, haben wir uns für das Format eines Zines entschieden, damit die Inhalte auch außerhalb unseres direkten Umfeldes rezipiert und diskutiert werden können.
Außerdem werden diskriminierte Personen oft in die Rolle gedrückt, ihre Diskriminierung erklären zu müssen und Dinge jederzeit offen anzusprechen. Einerseits ist es nicht die Aufgabe der Betroffenen, ihre Betroffenheit zu erklären – Menschen stehen in der Verantwortung, sich selbst mit ihren Privilegien auseinanderzusetzen. Andrerseits haben Betroffene nicht immer die Kraft, um Sachen direkt anzusprechen.
Darüber hinaus sind Privilegien und Marginalisierung selten eindimensional; beispielsweise wird eine cis Frau vom Patriarchat unterdrückt, ist jedoch gleichzeitig gegenüber trans* Personen privilegiert, weil sie cis ist. Eine Trans* Person ohne Behinderung erfährt z.B. Transfeindlichkeit und Sexismus, ist aber gegenüber einer trans* Person mit Behinderung privilegiert. (und so weiter und so fort….)
Sich mit den eigenen Privilegien auseinanderzusetzen kann ein langwieriger, komplexer Prozess sein. Auch wir befinden uns in diesem Prozess.
Wir haben uns bewusst dazu entschieden, nicht auf alle Kritikpunkte einzugehen, da wir nicht die Kapazitäten dazu haben, auf jeden TERF-Kommentar zu antworten. In diesem Text haben wir versucht, zu den Kommentaren und Einwürfen, die uns sehr häufig erreicht haben (und auch nur ansatzweise konstruktiv waren), Stellung zu beziehen.
Auf Kritiken zu sehr expliziten Textstellen sind wir hier nicht eingegangen; in der 2. Auflage des Zines werdet ihr jedoch hier und da einige Hinweise, Ergänzungen oder überarbeitete Textpassagen finden.
Wir wollen uns bei allen bedanken, die uns supportet haben, positives oder auch kritisches Feedback gegeben haben und das Zine geteilt haben.
Danke an die Personen, die sich die Zeit und Energie dazu genommen haben, Transfeindlichkeit auf den sozialen Kanälen offen zu legen und zu dekonstruieren.
Wir entschuldigen uns bei allen Menschen, die durch Inhalte oder Formulierungen im Zine getriggert oder retraumatisiert wurden. In keinem Falle war das Absicht, der Verfassenden. Trigger Awareness ist für uns ein sehr wichtiges Thema und absolut ernst zu nehmen. Personen, die sich gerade von ihrer Retraumatisierung erholen, wünschen wir alles gute.
Wir wollen uns natürlich auch mit allen trans* Personen solidarisieren, die unter dem online-Shitstorm leiden mussten, auch wenn sie gar kein Teil unserer Aktion waren.
Wir sind keine Einheit und haben auch nach der Aktion keinen eindeutigen Konsens über die Inhalte im Zine. Wir haben unterschiedliche Gedanken und Perspektiven. Unser Zine hatte von Anfang an die Funktion, unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen Raum zu bieten und diese auch nebeneinander stehen zulassen.