+++ Pressemitteilung +++ Hausbesetzung in Essen zum 08. März +++
In den frühen Morgenstunden des 8. März besetzte ein autonomer Zusammenschluss von trans*Personen aus der Linksradikalen ein Haus in der Steinstraße im Essener Südviertel.
Die Besetzenden wollen Sichtbarkeit in der Gesellschaft für trans*Themen schaffen und Kritik an klassischem & institutionellem Feminismus üben, wie er auch heute viel praktiziert wird.
Am 8. März dem sogenannten Frauenkampftag gehen in zahlreichen Städten Menschen auf die Straßen und demonstrieren gegen das Patriarchat, für Emanzipation, Gleichberechtigung und Befreiung, allerdings nicht selten nur für cis-Frauen.
Aber Diskriminierung auf Grund der Geschlechtsidentität erfahren nicht nur cis-Frauen. Auch trans* Personen, also Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugeschrieben wurde, sind vom Patriarchat unterdrückt und werden gesellschaftlich strukturell ausgeschlossen und marginalisiert. Cis steht hierzu im Gegensatz, beschreibt also Menschen die sich dem Geschlecht zugehörig fühlen, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.
Die Besetzenden wollen in der Steinstraße ein selbstorganisiertes Zentrum für trans* Personen eröffnen. Einerseits für geschützten Wohnraum, denn aufgrund von ihrem gesellschaftlichen Ausschluss sind trans*Personen besonders häufig von Wohnungslosigkeit, Armut oder Gewalt bedroht. Andererseits soll ein offener Raum entstehen, auch um über die Diskriminierung, die trans* Personen erfahren, aufzuklären, in Austausch zu kommen und sich gegenseitig zu unterstützen.
„Trans* Personen sind eine gesellschaftlich marginalisierte Gruppe und werden aufgrund des Patriarchats und der cis-Normativität diskriminiert und ausgeschlossen und erfahren häufiger Gewalt als andere. Daher halten wir es für wichtig, Räume zu schaffen, in denen trans* Personen geschützt über diese Erfahrungen in Austausch treten und sich gegenseitig unterstützen können.“, sagt Theo, eine der besetzenden Personen dazu.
Die Wohnhäuser, unter denen auch das besetzte Haus, angrenzend an den Hochtief Komplex an den Straßen Steinstraße und Gutenbergstraße stehen seit nun fast einem Jahr leer. Die Hochtief AG möchte den kompletten Häuserblock abreißen, um dort einen größeren modernen neuen Firmensitz zu errichten. Dazu wurden bereits Gespräche mit der Stadt geführt und ein paar schicke Pressefotos geschossen – alles, was dem Vorhaben gerade noch im Wege steht, ist die Corona Pandemie, die den Abriss nun seit einem dreiviertel Jahr verzögert.
Neben der Befreiung von trans* Personen setzen sich die Besetzenden somit auch für selbstverwalteten Wohnraum für alle und gegen eine weitere Gentrifizierung des Südviertels ein.
„Das Essener Südviertel besteht bald nur noch aus Quartieren und Campusen von irgendwelchen großen Konzernen, die sich ausschließlich für ihre Profite interessieren. Nebenbei werden solche Abriss- und Bauprojekte von der Stadt und den jeweiligen Konzernen als Greenwashing-Kampagnen aufgezogen und polieren damit ihr Image. Wie kann die Umsiedlung von dutzenden Menschen und der Abriss von mehreren, intakten Wohnhäusern und einem – ursprünglich unter Denkmalschutz stehendem – Bürogebäude nachhaltig sein? Greenwashing ist eine Strategie, die sehr viele mächtige Unternehmen nutzen, damit ihre teuren, ausbeuterischen Projekte von der breiten Masse akzeptiert werden. Ein lokales Beispiel dafür sind die vielen Innogy-Bücherschränke, die in Essen sehr präsent sind.“, sagt eine Besetzerin, namens Loretta.
An dem Haus sind viele bunte Banner und Transparente angebracht.
Auf einem der Banner, die aus den Fenstern hängen steht „8. März Antipatriarchaler Kampftag“.
Alex, einer der Besetzer:innen erklärt dazu: „Wir wollen keinen Frauenkampftag, denn wir sind nicht alle Frauen, aber wir erfahren alle ähnliche Diskriminierungen und Ausschlüsse aufgrund unseres Geschlechts, der Art und Weise wie die Gesellschaft uns wahrnimmt und welche Rollen, Bilder und Geschlechterstereotypen in diesem Patriarchat vorherrschen. Deshalb wollen wir am 8. März alle gemeinsam auf die Straße und in die Häuser gehen und das Patriarchat zerschlagen. Außerdem wollen wir cis-normative Bilder dekonstruieren und miteinander, statt gegeneinander kämpfen. Wir wollen uns durch unsere Kämpfe gegenseitig empowern und nicht Freiheiten für einige erkämpfen, indem wir andere ausschließen.“
Auf einem anderen Banner ist „Ask for pronouns“ zu lesen. „Es sollte normal sein, wenn Menschen sich einander vorstellen, nicht nur den Namen, sondern auch die Pronomen zu nennen. Was mein Geschlecht ist und welche Pronomen ich benutze, ist etwas, was nur ich selbst bestimmen kann und nicht unbedingt nach außen sichtbar ist. Für trans* Personen ist es oft schmerzhaft mit falschen Pronomen angesprochen zu werden und einfach vorher nachfragen kann das verhindern.“, sagt Pauli dazu.
„Begutachte dich selbst!“ steht auf einem Transparent. „Psychotherapie für alle, nicht nur für uns!“ auf einem anderen. Damit beziehen sich die Besetzer:innen auf die vielen bürokratischen Voraussetzungen, die trans*Personen erfüllen müssen, um beispielsweise ihren Namen im Personalausweis und bei verschiedenen Ämtern und Institutionen zu ändern, Hormone nehmen zu dürfen oder Operationen durchzuführen. Und selbst das ist bisher nur für binäre trans*Personen, also trans*Männer und Frauen überhaupt möglich. Nicht binäre trans*Personen sind gesellschaftlich noch weniger akzeptiert.
Heute um 18 Uhr findet am Ehrenzeller Platz in Altendorf eine Kundgebung anlässlich des 8. März statt. Die Kundgebung wurde von migrantischen, Schwarzen und nicht-weißen Personen organisiert, welche, wie ihrem Aufruf zu entnehmen ist, dabei insbesondere auf Themen wie Mehrfachdiskriminisierung, queere und Schwarze Identität und internationale Frauenkämpfe aufgreifen wollen.
Die Besetzenden kämpfen für einen Feminismus, von dem sich alle gesehen fühlen. Klar, passiert das nicht über Nacht, weil Inklusivität ein endloser Prozess ist, der immer wieder reflektiert werden sollte. Und dennoch ist es essenziell, Gruppenkonstellationen und Repräsentation kritisch zu betrachten.
Die Kundgebungen zum 8.März werden üblicherweise von cis-Personen organisiert, wie auch die Kundgebung in Essen.
„Auch wenn bei der Kundgebung in Altendorf ähnlich cisnormativer und trans* exklusiver Feminismus betreibt wie viele andere Veranstaltungen heute, möchten wir uns mit den Menschen dort und insbesondere mit BIPoC und migrantischen FLINT* Personen solidarisieren. Den Ausschluss, den wir trans* Personen durch den Mainstream-Feminismus erfahren, ist auch Realität dieser Menschen. Und auch wir als mehrheitlich weiße able-bodied Gruppe müssen an der eigenen Inklusivität und Repräsentation noch arbeiten.“, so ein Besetzer.
„Wir wollen einen Feminismus, der BIPoC, trans* und Inter* Personen, Menschen mit Behinderung und Menschen aus der Unterschicht miteinbezieht.“, meint eins der Besetzenden.
Mehr Infos findet ihr auf unserem Blog: transflaeche.blackblogs.org und unserem Twitter Account: @transFlaeche
Für ein Interview könnt ihr uns eure Fragen per Textnachricht über den Messenger Signal schicken und wir können sie in einem Video beantworten, dass wir mit einem Smartphone aus der Besetzung heraus aufnehmen.
Unsere Telefonnummer lautet: 0152 52972124